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Presseinformation: Konstruierte Geschichtsbilder

Nr. 22 - 06.02.2020

Göttinger Historikerin untersucht Entwicklung und Wirken des Hansischen Geschichtsvereins


(pug) Führend in der damaligen Schiffstechnologie, fortschrittlich im Recht und kampferprobt gegen Seeräuber: Die Hanse gilt als vorbildlicher Zusammenschluss von Kaufleuten und Städten, einmalig in Europa und maßgeblich von Deutschen initiiert und getragen. Dass dieses Geschichtsbild größtenteils vom Hansischen Geschichtsverein (HGV) aufgebaut wurde, hat die Göttinger Historikerin Elisabeth Reich jetzt in ihrer Dissertation „Der Hansische Geschichtsverein. Entwicklung, Netzwerke, Geschichtsbilder“ herausgefunden.

 

Der HGV wurde vor 150 Jahren als Zusammenschluss von Wissenschaftlern, Archivaren und Politikern gegründet. Erklärtes Ziel war die Erforschung der Hanse. Politisches Interesse dominierte jedoch. „Der Verein hat die Hanse einerseits als überregionales Phänomen definiert, das eine grenzüberschreitende Forschung und internationale Vernetzung in der Wissenschaftsgemeinde notwendig machte“, so Reich. „Gleichzeitig hat er in seinen Veröffentlichungen eine deutsche Dominanz in der Hanse herbeigeschrieben.“

 

So wurde die Hanse vom Verein als Sonderfall in Europa präsentiert, was zum Ende des 19. Jahrhunderts als Vorbild für ein Ausgreifen Deutschlands in die Welt genutzt wurde. Nach 1945 hat der Verein die Hanse zu einem Modellfall für die Zusammenarbeit in Europa umgedeutet. Ab 1990 kam es allmählich zu einem methodischen Wandel in der Ausrichtung, weil anerkannt wurde, dass der Ostseeraum stets in ein westmitteleuropäisches Handelssystem eingebettet war. Damit besann sich der HGV auf seine wissenschaftlichen Bestrebungen und grenzte sich von den Marketinginteressen des „Städtebund Die Hanse“ ab.

 

„Reich zeigt überzeugend, dass unser heutiges Bild von der Hanse durch die Gestaltung und den Ausbau von Geschichtsbildern konstruiert wurde“, sagt Doktorvater Prof. Dr. Arnd Reitemeier, Direktor des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen. Die Wissenschaftlerin untersuchte zudem die Besetzung des Vorstands, in der sich politische Interessen spiegelten: Anfänglich hatte die Stadt Lübeck einen großen Einfluss auf die Besetzung. 1933 wurde ein Danziger Senator in das Gremium gewählt, weil der Osten zunehmend Bedeutung für den Geschichtsverein erhielt. Nach 1945 gab es bedenkliche Kontinuitäten: Mehr als die Hälfte der Vorstandsmitglieder behielt ihre Position, drei von ihnen waren deutlich belastet.

 

Originalveröffentlichung: Elisabeth Reich, Der Hansische Geschichtsverein. Entwicklung, Netzwerke, Geschichtsbilder, Bielefeld 2019


Kontakte:

Dr. Elisabeth Reich
Telefon 0511 169999-30, E-Mail: reich@karikatur-museum.de 


Prof. Dr. Arnd Reitemeier
Georg-August-Universität Göttingen
Philosophische Fakultät – Institut für Historische Landesforschung

Heinrich-Düker-Weg 14, 37073 Göttingen, Telefon 0551 39-21213
E-Mail: arnd.reitemeier@phil.uni-goettingen.de, Internet: www.uni-goettingen.de/de/98306.html