Presseinformation: Verarmte Flora in Wiesen und Wäldern gefährdet Insekten
Nr. 73 - 17.05.2021
Verbundprojekt mit Beteiligung der Universität Göttingen beobachtet weniger Insekten bei sinkender Biodiversität
(pug) Wo die pflanzliche Vielfalt zurückgeht, nimmt die Diversität der Insekten und damit die Biodiversität als Ganzes ab. Auf intensiv genutzten Wiesen und Weiden sowie in dunklen Buchenwäldern fehlen auf wenige Pflanzenarten spezialisierte Insekten, da dort ihre Futterpflanzen nicht mehr vorkommen. Dies zeigt eine internationale Studie mit Beteiligung der Universität Göttingen. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift Science Advances erschienen.
Intensive Landnutzung stellt eine große Bedrohung für die biologische Vielfalt dar, unter anderem für pflanzenfressende Insekten und ihre Wirtspflanzen. Sind Käfer, Heuschrecken, Blattwanzen oder Zikaden nur auf eine oder sehr wenige Pflanzenarten spezialisiert, müssen sie abwandern oder sie sterben lokal aus, wenn ihre Wirtspflanzen verschwinden. Ist die vorhandene Nahrungspalette einer Insektenart hingegen artenreich, kann sie trotzdem überleben, auch wenn die Pflanzenarten abnehmen. Das Zusammenspiel von Arten unterschiedlicher Organismengruppen ist letztlich entscheidend für die Stabilität eines Ökosystems. Diesen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Insekten gingen Forscherinnen und Forscher mehrerer Einrichtungen aus Deutschland und der Schweiz unter der Leitung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL auf den Grund. Forscher der Universität Göttingen charakterisierten für die Studie die Bewirtschaftung von 150 Waldbeständen. Diese Daten wurden mit dem Vorkommen der Insekten in Beziehung gesetzt, um mögliche Zusammenhänge zu erkennen.
In Gebieten mit einer Mischung aus naturnahen, aber auch stark von Menschen genutzten Ökosystemen ging das Team davon aus, sehr unterschiedliche Insektengemeinschaften vorzufinden. „Da in diesen zum Teil auch Insektenarten vorkommen, die auf wenige Futterpflanzen spezialisiert sind, versprachen wir uns neue Einblicke in die Konsequenzen, die eine intensive Nutzung für die ökologische Stabilität von Grünland und Wäldern hat“, sagt Prof. Dr. Martin Gossner, Insektenforscher an der WSL und Leiter der Studie. Insgesamt erfassten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf 289 langfristig angelegten Stichprobenflächen 531 Pflanzen- und 1053 Insektenarten sowie deren Häufigkeiten.
Es zeigte sich, dass Pflanzen-Insekten-Netzwerke in wenig beweidetem Grünland aus mindestens 70 Pflanzenarten und 80 pflanzenfressenden Käfer-, Heuschrecken-, Blattwanzen- und Zikadenarten bestehen. So bietet beispielsweise die wilde Möhre, eine typische Pflanze mäßig bewirtschafteter Weiden, zahlreichen spezialisierten Käferarten Nahrung. Auf häufig gemähten oder gedüngten Wiesen und Weiden konnten im Mittel nur 40 Pflanzen- und 60 bis 70 dieser Insektenarten nachgewiesen werden. In seit Kurzem nicht bewirtschafteten Wäldern mit dichtem Baumbewuchs ist die Biodiversität mit durchschnittlich 25 Pflanzen- und 30 solcher Insektenarten deutlich geringer als in lichten Wäldern. Jenen Insekten, die nur wenige Baum- oder Krautarten als Nahrung nutzen können, fehlt dort die Lebensgrundlage. Hingegen dringt in Wäldern mit zahlreichen Lücken im Kronendach viel Licht auf den Boden, so dass dort bis zu 80 Pflanzen- und 50 pflanzenfressende Insektenarten der studierten Gruppen vorkommen.
„Das Ergebnis zeigt einmal mehr, dass eine planvolle Waldbewirtschaftung zum Erhalt der Insektenvielfalt durchaus beitragen kann“, sagt Prof. Dr. Christian Ammer, Leiter der Abteilung Waldbau und Waldökologie der gemäßigten Zonen der Universität Göttingen. „Die Tendenz, in Wälder nur schwach einzugreifen, und das Kronendach möglichst geschlossen zu halten, ist für pflanzenfressende Insektenarten nachteilig“, betont Dr. Peter Schall, Waldökologe an der Universität Göttingen und verantwortlich für die Messung der Bewirtschaftungsintensität der Wälder.
Werden lichtere Wälder gefördert, erhöht sich nicht nur die Vielfalt an Bodenpflanzen, Sträuchern und Bäumen, sondern auch die von der Pflanzenvielfalt profitierenden Insektenarten. Auch förderlich sind aus verschiedenen Laub- und Nadelbäumen gemischte Bestände, die sich ausserdem als stabiler gegenüber dem fortschreitenden Klimawandel erweisen dürften. Für Grünland empfehlen die Autorinnen und Autoren eine moderate Beweidung anstelle des intensiven Mähens, um vielfältige und stabile Insektengemeinschaften zu fördern.
Originalveröffentlichung: F. Neff et al. Changes in plant-herbivore network structure and robustness along land-use intensity gradients in grasslands and forests. Sci. Adv. 7, eabf3985 (2021). Doi: 10.1126/sciadv.abf3985
Kontakt:
Prof. Dr. Christian Ammer
Georg-August-Universität Göttingen
Abteilung Waldbau und Waldökologie der gemäßigten Zonen
Büsgenweg 1, 37077 Göttingen
Tel.: 0551 3923671
christian.ammer@forst.uni-goettingen.de