Presseinformation: Hunde unterscheiden zwischen absichtlichem und unabsichtlichem Verhalten
Nr. 133 - 03.09.2021
Forschungsteam aus Göttingen und Jena führt Studie mit privaten Familienhunden durch
(pug) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Göttingen und vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte Jena haben verglichen, wie Hunde auf absichtliches und unabsichtliches Verhalten von Menschen reagieren. Sie fanden heraus, dass Hunde deutlich zwischen absichtlichem und unabsichtlichem Verhalten unterscheiden. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift Scientific Reports erschienen.
Menschen und Hunde blicken auf eine lange gemeinsame Vergangenheit zurück, in deren Verlauf Hunde spezielle Fähigkeiten entwickelt haben, um in der menschlichen Umgebung zu leben und eine Bindung zum Menschen zu entwickeln. Das Ausführen von Kommandos wie „Sitz“ und „Platz“ ist nur ein Beispiel für ihre Fähigkeit auf den Menschen adäquat zu reagieren. Unklar ist jedoch, ob Hunde wirklich die Absichten des Menschen verstehen oder lediglich auf bestimmte Hinweisreize reagieren. Die Fähigkeit, die Intentionen anderer zu verstehen oder zumindest wahrzunehmen, ist eine Komponente der sogenannten „Theory of Mind“, also der Fähigkeit, mentale Zustände wie Wissen, Wünsche und Intentionen anderen zuzuschreiben. Theory of Mind wurde lange als eine einzigartige menschliche Fähigkeit betrachtet. Frage der Studie war: Verstehen Hunde, wann Menschen absichtlich oder unabsichtlich handeln und verfügen damit über eine grundlegende Komponente der Theory of Mind? Um dieser Frage nachzugehen, untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie Hunde reagieren, wenn ihnen Futter vorenthalten wurde, und zwar entweder absichtlich oder unabsichtlich. Sie fanden heraus, dass Hunde tatsächlich deutlich unterschiedliche Reaktionen zeigten.
Das Forschungsteam nutzte den sogenannten „Unable vs. Unwilling“ Test, bei dem ein Mensch entweder zu etwas nicht fähig (unable) oder nicht willens ist (unwilling). Bei diesem Test wird untersucht, ob Tiere (oder Kinder) unterschiedlich auf eine Person reagieren, die ihnen eine Belohnung vorenthält. Dies tut die Person entweder absichtlich (weil sie nicht willens ist) oder unabsichtlich (weil sie nicht in der Lage dazu ist, die Belohnung zu übergeben). Obwohl dieser Test bereits etabliert ist – sowohl bei der Erforschung von Menschen als auch von Tieren – wurde er noch nie mit Hunden durchgeführt. Dabei sind gerade für Hunde die menschlichen Intentionen vermutlich relevanter als für jede andere Art.
In der Studie wurden 51 private Familienhunde getestet. Jeder Hund durchlief drei Situationen. In jeder dieser Situationen waren Hund und Versuchsleiterin durch eine transparente Trennwand voneinander getrennt. Die Hunde lernten zunächst, dass die Versuchsleiterin ihnen immer durch eine Öffnung in der Trennwand einzelne Futterstücke gibt. In allen drei Varianten wurde dieser Fütterungsprozess dann unterbrochen und die Belohnungen blieben auf dem Boden vor der Versuchsleiterin liegen. In der „Will nicht“-Situation zog die Versuchsleiterin das Futterstück in einer absichtlichen Bewegung zurück und legte es vor sich auf den Boden. In der „Kann-nicht-ungeschickt“-Variante versuchte die Versuchsleiterin, das Futter durch die Öffnung zu reichen, scheiterte dann aber, weil sie zu ungeschickt war, und die Belohnung fiel „aus Versehen“ vor ihr auf den Boden. In der dritten Variante „Kann-nicht-blockiert“ scheitert die Versuchsleiterin, weil die Öffnung in der Trennwand plötzlich geschlossen worden war.
„Wenn Hunde den Menschen tatsächlich Absichtlichkeit zuschreiben können“, so Dr. Juliane Bräuer vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, „würden wir erwarten, dass sie eine andere Reaktion bei der ,Will-nicht‘-Variante als die bei der ,Kann-nicht‘-Variante zeigen. Und dies war tatsächlich der Fall.“ Als erste Reaktion erfassten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie lange die Hunde warteten, bevor sie sich der zuvor verwehrten Belohnung näherten – indem sie um die Absperrung herumliefen. Die Hypothese war folgende: Wenn Hunde menschliche Absichtlichkeit erkennen können, dann sollen sie länger warten, bevor sie sich der willentlich verwehrten Belohnung nähern. Bei dem Futter, das die Versuchsleiterin ihnen eigentlich geben wollte, aber nicht konnte, gibt es hingegen keinen Grund zu zögern.
Tatsächlich warteten die Hunde länger in der „Will nicht“-Situation als in beiden „Kann nicht“-Situationen. Außerdem zeigten sie auch weitere Verhaltensunterschiede zwischen den einzelnen Varianten. In der „Will nicht“-Situation setzten oder legten sie sich mit größerer Wahrscheinlichkeit hin – beides Handlungen, die oft als Beschwichtigungsverhalten interpretiert werden. Außerdem hörten sie auf, mit dem Schwanz zu wedeln, wenn ihnen das Futter willentlich verwehrt wurde. „Die Hunde in unserer Studie reagierten eindeutig verschieden, je nachdem, ob die Versuchsleiterin absichtlich oder unabsichtlich gehandelt hat“, sagt Dr. Britta Schünemann, Erstautorin von der Universität Göttingen. „Das deutet darauf hin, dass Hunde tatsächlich in der Lage sein könnten menschliche Absichtlichkeit zu erkennen“, fügt Co-Autor Prof. Dr. Hannes Rakoczy hinzu.
Das Team gibt zu bedenken, dass ihre Ergebnisse unter Vorbehalt interpretiert werden müssen. Weitere Forschung ist notwendig, um Alternativerklärungen auszuschließen. Zum Beispiel könnten die Hunde unbewusste Hinweise im Verhalten der Versuchsleiterin genutzt haben. Vermutlich spielt auch die persönliche Erfahrung der getesteten Hunde eine Rolle.
Originalveröffentlichung: Title: Dogs distinguish human intentional and unintentional action. Britta Schünemann, Judith Keller, Hannes Rakoczy, Tanya Behne, & Juliane Bräuer. Scientific Reports (2021). Doi: https://doi.org/10.1038/s41598-021-94374-3
Kontakt:
Britta Schünemann
Georg-August-Universität Göttingen
britta.schuenemann@uni-goettingen.de
Juliane Bräuer
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte