Presseinformation: Bedeutendster Jurist seiner Zeit?
Nr. 120 - 06.09.2022
Universität Göttingen erinnert an die Berufung Rudolf von Jherings vor 150 Jahren
Am 17. September 1737 wurde die Universität Göttingen feierlich eingeweiht. Anlass, einen Blick auf ihre Geschichte zu werfen und an besondere Ereignisse zu erinnern – diesmal an die Berufung eines Juristen, dessen Erkenntnisse uns im Alltag immer noch begegnen.
Wer an der Frischtheke auf einem Salatblatt ausrutscht, kann gegen den Supermarkt Anspruch auf Schadensersatz erheben – dank Rudolf von Jherings. Er hat als erster aus dem Römischen Recht die Haftung für vorvertragliche Pflichtverletzungen abgeleitet. Während die „culpa in contrahendo“ allen Jura-Studierenden bekannt ist, kennen wohl nur noch wenige den Göttinger Gelehrten. Dabei hat Jhering das heutige Rechtssystem entscheidend geprägt. Vor 150 Jahren – am 29. September 1872 – trat er seine Professur an der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen an.
Rudolf von Jhering wurde 1818 in Aurich in eine alte ostfriesische Juristenfamilie geboren. Er studierte ebenfalls Jura, auch ein Semester in Göttingen. Mit 27 Jahren war er schon Professor in Basel, dann in Rostock, Kiel, Gießen und seit 1868 zu sehr guten Konditionen in Wien. Er war auf dem Weg, der bedeutendste Jurist seiner Zeit zu werden. In Göttingen sorgte man sich zu dieser Zeit um stark gesunkene Zahlen von Jura-Studierenden. Die Fakultät benötigte ein wissenschaftliches Zugpferd. Mit Wien konnte Göttingen kaum konkurrieren, aber einen Vorteil hatte es: Ruhe.
Die suchte Jhering, damit er ohne Ablenkung durch den Trubel einer Großstadt sein Opus magnum schreiben konnte. Abgesehen davon wusste er, was er wert war: 3.500 Taler Jahresgehalt, später eine gute Witwenpension für seine Frau, Freistellung seines Sohnes von der preußischen Wehrpflicht und ein klangvoller Titel waren seine Forderungen. Im April 1872 wurde man handelseinig. Das Sommersemester verbrachte Jhering weiter in Wien und ließ sich von Kaiser Franz Joseph noch in den Adelsstand erheben.
Die Kaiserurkunde mit ihrer Wappenmalerei und goldenen Siegelkapsel ist heute eines der Prunkstücke des Göttinger Universitätsarchivs, ebenso wie die vielen Glückwunschadressen und Ehrenurkunden, die Jhering im Laufe seines Lebens erhielt – sogar von seinen Wiener Studierenden. In der Ruhe der Göttinger Südstadt konnte sich Rudolf Ritter von Jhering ganz auf sein Hauptwerk „Der Zweck im Recht“ konzentrieren. Unvollendet blieb es zwar, aber dennoch begründete Jhering damit die Rechtssoziologie: Das Recht ist kein losgelöstes logisches System, sondern es dient dem Ausgleich konkreter gesellschaftlicher Interessen. Für Jhering hieß das vor allem: Ausgleich zwischen den Ansprüchen einer Gesellschaft, die sich fortentwickelt, und der Freiheit der Einzelpersonen. Sein Werk wurde und wird im Einzelnen durchaus kritisiert, doch die Fragestellung ist bis heute aktuell.
Rudolf von Jhering lebte und arbeitete zwanzig Jahre lang in Göttingen. Vor 130 Jahren, genau am 17. September 1892, starb der Jurist. Ein Obelisk ziert sein Grab auf dem Stadtfriedhof. Der Schreibtisch, auf dem seine Werke entstanden, kann heute im Forum Wissen besichtigt werden, dem neuen Wissensmuseum der Universität Göttingen.
Kontakt:
Dr. Holger Berwinkel
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen
Universitätsarchiv
Papendiek 14, 37073 Göttingen
Telefon: (0551) 39-25309
E-Mail: archiv@sub.uni-goettingen.de
Internet: www.archiv.uni-goettingen.de