In publica commoda

Presseinformation: Zwischen Scheibe und Stechapfel

Nr. 104 - 27.06.2023

Forschungsteam gelingt reversible Veränderung der Form roter Blutzellen mit Licht

 

(pug) Membranen erfüllen in lebenden Zellen viele Aufgaben: Sie grenzen die Zellen von der Umgebung ab und schützen sie, leiten Nährstoffe in das Innere und spielen eine wichtige Rolle, wenn Zellen zu Geweben zusammenwachsen, sich durch Teilung vermehren oder sich bewegen. Forschende der Universitäten Göttingen und Münster beschreiben nun erstmals, wie sich lebende Zellen durch eine gezielte Beeinflussung der Zellmembran mit Licht reversibel verformen lassen. In ihrem Laborversuch nahmen rote Blutzellen unter der Mitwirkung eines eingebauten „molekularen Lichtschalters“ eine Stechapfelform an, wenn sie mit sichtbarem Licht bestrahlt wurden. Unter UV-Licht flachten sie zur Scheibenform ab. Der Prozess ließ sich mehrfach wiederholen. Die Studie ist in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.

 

Normalerweise haben rote Blutzellen eine flache Scheibenform (Diskozyt). Sie können aber auch eine Stechapfelform (Echinozyt) mit Ausstülpungen an der Oberfläche annehmen. Den Forschenden gelang es, bei roten Blutzellen den Wechsel zwischen den beiden Formvarianten zu steuern. Sie bauten einen „molekularen Lichtschalter“ in die Zellmembran: ein Molekül, das ähnlich aufgebaut ist wie die Moleküle der Zellmembran, aber zusätzlich eine Funktionseinheit besitzt, die bei Beleuchtung ihre Form verändert. Chemisch ausgedrückt handelt es sich dabei um ein Azobenzol. „Da das Azobenzol hydrophobe, also wasserabweisende Eigenschaften aufweist, haben wir zusätzlich eine hydrophile, wasserlösliche Seitenkette eingefügt. Das ist ein Design, das den in der Natur vorkommenden Lipidmolekülen der Zellmembranen sehr nahekommt“, erläutert Erstautor Dr. Fabian Höglsperger von der Universität Münster. „Die Unterschiede zwischen dem Molekül Azobenzol-TEG-SO3H, das wir entworfen und hergestellt haben, und den natürlich vorkommenden Lipidmolekülen sind klein. Aber sie reichen aus, damit sich die Eigenschaften des künstlichen Moleküls durch Licht verändern lassen.“

 

Der Einbau des Azobenzols bewirkte, dass die Zellen schlagartig die Stechapfelform annahmen. Unter Bestrahlung mit UV-Licht verformten sich die Zellen. Sie ähnelten dann den scheibenförmigen Diskozyten. Das erklären die Forschenden mit einer Strukturveränderung des Azobenzol-Moleküls. Sie bewirkt, dass die in der Stechapfelform vorliegenden Ausstülpungen der Zellmembran abflachen. Unter sichtbarem Licht nahmen die Zellen wieder die Stechapfelform an, denn die Bestrahlung löste die Rückreaktion des „molekularen Lichtschalters“ aus.

 

Prof. Dr. Timo Betz von der Fakultät für Physik der Universität Göttingen sieht viele mögliche Anwendungen. „Mit diesem Ansatz können wir die Membranfläche und damit die Membranspannung von Zellen gezielt und einfach verändern, und zwar genau wann und wo wir wollen. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Membranspannung als wichtige Größe die zellulären Prozesse beeinflusst.“

 

Es handelt sich hierbei um Grundlagenforschung. Die Beteiligten betonen aber: „In Zukunft könnte diese einfache und effiziente Methode dabei helfen, die Reaktionen von Zellen auf ihr Umfeld abhängig von ihrer Form zu untersuchen oder Prozesse wie Zellteilung und Zellmigration durch Licht zu steuern.“

 

Originalveröffentlichung: Fabian Höglsperger et al. Rapid and reversible optical switching of cell membrane area by an amphiphilic azobenzene. Nature Communications (2023). DOI: 10.1038/s41467-023-39032-0

 

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Kontakt:

Prof. Dr. Timo Betz

Georg-August-Universität Göttingen

Fakultät für Physik

Drittes Physikalisches Institut – Biophysik

Friedrich-Hund-Platz 1, 37077 Göttingen

Telefon: 0551 39-26921

E-Mail:  timo.betz@phys.uni-goettingen.de

Internet: www.betzlab.uni-goettingen.de